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Das Umstellformat

Andreas Breitenstein, NZZ,
Grossmutter starb allein
“Zärtlichkeit und Schmerz: Melitta Breznik scheut in ihrer Prosa nicht die starken Gefühle, doch vor der Falle der Sentimentalität bewahren sie die Gabe kühler Beobachtung, das Talent zur Introspektion sowie eine Sprache, die Lakonik mit Eleganz und Genauigkeit verbindet.”

Peter Demetz: FAZ,
Zauberworte hinter Panzerglas
“……in einen vielstimmigen Roman, den sie womöglich wider Willen geschreiben hat. Sie nennt ihn immer noch eine Erzählung, aber er wiegt, schmal ist nicht dünn, hunderte von Seiten anderer mühelos auf.”

Susanne Schaber, Presse,
Worüber man nicht spricht
“Schon in früheren Büchern… hat sie sich ins Innere des medizinischen Apparats hineingeschreiben, das Räderwerk beobachtet und Menschen seziert, feinen Blicks und ohne sentimentale Regungen, ohne Zitate und Effekte… Das Umstellformat wird zur Metapher, die Privates und Politisches zusammenspannt.”

Barbara Basting, Tages-Anzeiger,
Leben und Sterben mit deutschem Gruss
“Gefühlsduselei weicht sie ebensosicher aus, wie der Versuchung, Schicksale auf simple Deutungen herunterzubrechen…..Melitta Brezniks Buch stimmt auch deswegen nachdenklich, weil es in literarischer Verdichtung die Allmacht der Medizin in unserer Gesellschaft darstellt.”

In Memoriam
Bertha Johanna Schulz, geb. am 7. Oktober 1896 in Steele b. Essen
als siebtes von insgesamt vierzehn Kindern
Besuch der Grundschule in Steele b. Essen
Lehre in einem Delikatessengeschäft
Anstellungen in verschiedenen Haushalten
Arbeit bei Krupp während des Ersten Weltkrieges

1920 Heirat mit Peter Schulz, Enkheim b. Frankfurt am Main
1920 Geburt der Tochter Sophie
letzter Wohnort: Enkheim b. Frankfurt a. Main
Aufnahme in die Nervenklinik Frankfurt am Main, Niederrad, am 29. August 1935
Diagnose: Paranoide Schizophrenie
Verlegt in die Landesheilanstalt Hadamar am 2. November 1935
Diagnose: Paranoide Schizophrenie
Verlegt am 3. Juli 1936 in die Landesheilanstalt Marburg
Diagnose: Paranoide Schizophrenie
Verlegt am 25. August 1941 nach Merxhausen

8. oder 12. Mai 1943 gestorben in der Landesheilanstalt Merxhausen

Die Umstände des Todes von Bertha Schulz sind unklar. Nach Aussagen der Direktion Merxhausen war die Versorgungslage der Kranken 1943 bereits sehr prekär. In den überfüllten Krankensälen traten Seuchen auf, denen eine große Zahl der unterernährten und geschwächten Patienten zum Opfer fiel. Aufgrund der Verwendung der Klinikgebäude als Kriegslazarette blieb für die Psychiatrie-Patienten kaum Platz, und auch die Versorgung mit Lebensmitteln wurde schlechter. Die „aktive Euthanasie“ wurde im August 1941 offiziell eingestellt, doch an ihre Stelle trat die sogenannte wilde Euthanasie, die den Krankenmord mit „sanfteren“ Methoden weiterführte. Bis Kriegsende kamen unzählige Patienten in den psychiatrischen Anstalten des Dritten Reichs ums Leben, und auch noch nach Kriegsende starben viele.

Bertha Schulz war zum Zeitpunkt ihres Todes 46 Jahre alt. Die Akteneinträge und ärztlichen Untersuchungszeugnisse aus den Jahren zuvor weisen unauffällige Befunde über ihre körperliche Verfassung auf. Nach Angaben ihrer heute neunzigjährigen Tochter erschien die Mutter bei den Besuchen in den verschiedenen Kliniken körperlich gesund. Im Mai 1943 wurde der Tochter in einem Telegramm völlig unerwartet der plötzliche Herztod der Mutter mitgeteilt.

Literarische Buchpublikation nach Recherchen der Tochter und Enkelin:

Melitta Breznik, Das Umstellformat. Erzählung, München: Luchterhand Literaturverlag 2002.